28. März 2024

24 Millionen Menschen leben in dieser Stadt. Und alle müssen sie irgendwo wohnen. Auf einer Fläche, etwa doppelt so groß wie Berlin. Da landen die meisten dann zwangsläufig im 40. Stockwerk – und viele Chinesen fühlen sich dort dem Himmel wohl tatsächlich ein Stückchen näher. Denn die eigene Wohnung in einem der neuen Hochhäuser ist Teil des neuen Lebensgefühls der neuen chinesischen Mittelschicht. Zu tausenden stehen die Wolkenkratzer hier dicht an dicht und prägen das Stadtbild. Den echten Himmel zu sehen, kann allerdings schwer sein, wenn man sich in den Straßenschluchten bewegt.

Und sowas mit zwei Kindern, fragten wir uns, als wir letztes Jahr unsere Pro-/Contra-Liste durchgingen. Fanden wir eher unattraktiv. Dieses fette Gegenargument landete allerdings ganz schnell auf der anderen Seite der Liste. Dass wir als Expats ziemlich gepampert werden, schrieb ich schon. Und dass das Wohnbudget auch für ein Haus reichen würde, hatte man uns gesagt. Nun kann die Definition von Haus aber sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, in welchem Teil der Welt man lebt. Und wer in Shanghai in einem freistehenden Haus lebt (denn allzu viele gibt’s dann doch nicht), gehört als Chinese eher nicht mehr zur Mittelschicht. Bei unseren sehr netten chinesischen Nachbarn gehen Haushaltshilfe, Gärtner und Kindermädchen ein und aus. Die Autos in der Zufahrt sind auch nicht mehr aus der Kategorie Golf.

Aber auch das ist wie mit allem hier: Man macht es, weil man es kann. Und das auch bitte jeder sehen soll. Ob das Leben in der Peripherie in einem riesigen Haus nun der persönliche Lebenstraum war, sei mal dahingestellt, gehört scheinbar aber zum guten Ton, wenn man erstmal in gewissen Kreisen angekommen ist.

zu Hause in Shanghai.
Zu Hause in Shanghai.

Und mittendrin in einem dieser Compounds, der Wohnsiedlungen hier mit so klangvollen Namen wie Elite Villa, Lakeside oder Le Chambord, wohnen wir. Unser Compound liegt im Westen der Stadt, in Qingpu, ist ein bisschen älter, hat keinen ganz so klangvollen Namen („Jiu Shi West Suburb Garden“) und nicht alles wirkt wie geleckt (obwohl die Straßenfeger auch hier den ganzen Tag unterwegs sind und jedes einzelne Blatt sorgfältig gekehrt wird). Doch genau das mögen wir sehr, es fühlt sich super familiär an. Wir haben zwei kleine Shops im Compound und einer davon wird vom deutschen Bäcker beliefert, sodass wir sonntags zu Fuß unsere Brötchen holen. Jette darf immer mal mit dem Fahrrad und zwei Kwai in der Tasche zum Tante Emma-Laden flitzen, um sich Kaugummis zu kaufen. Im Grunde leben wir wie in einem Dorf.

Unsere Vermieterin wird von allen hier nur Grandma genannt und ist eine sehr liebe ältere chinesische Omi, der außer unserem noch drei weitere Häuser hier im Compound gehören. Unseres ist davon natürlich mindestens das Schönste! Sicherlich aber das größte. Es ist irre, wir haben Zimmer für Dinge, die kein eigenes Zimmer brauchen. Ich habe nun also ein Lesezimmer und auf unseren Besuch warten zwei Gästezimmer. Wer das braucht? Niemand. Und doch genießen wir es. Das Haus fällt völlig aus dem Raster, es sieht nicht aus wie viele der anderen Häuser hier (es ist weder quietschbunt angestrichen, noch hat es steinerne Löwen im Vorgarten) und es ist keine Toscana-Villa, auf deren Kopien die Chinesen scheinbar abfahren… Vielmehr dachten wir bei der ersten Besichtigung kurz an die US-Südstaaten.

Fahrradfahren muss gelernt sein.
Auf dem Weg nach Haus.

Vielleicht gefiel es uns auch deshalb so gut. Und dass nicht alles von Mamor durchzogen und mit goldenen Wasserhähnen bestückt ist (über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten) machte uns die Entscheidung einfach. Letztendlich ist es ja immer ein Bauchgefühl. Man fühlt sich wohl, oder man tut es nicht. Das ist hier nicht anders als bei Wohnungsbesichtigungen in Deutschland.

Jetzt leben wir also drei Jahre in diesem wunderbaren Haus. Das zum Glück bisher alle Tests bestanden hat – die Fenster sind dicht, wir haben keine Viecher im Haus (außer unseren kleinen Freund, den Gekko, der es irgendwie in mein Arbeitszimmer geschafft hat), das Haus wird im Winter warm und im Sommer kühl und kaputt gegangen ist bisher auch nichts. Nicht selbstverständlich übrigens, denn so bombastisch die Häuser auch aussehen, die Bauweise ist bei vielen echt dürftig.

Wir jedenfalls genießen das Leben in diesem Haus. Grillen auf der Terrasse. Spielen Fußball im Garten. Und buddeln im Sandkasten. (Außer jetzt gerade, denn der Sommer hier ist irre. Aber Klima und Wetter sind ein eigenes Thema.) Wir fühlen uns wohl – und daran hat dieses Haus, dieses Zuhause, den allergrößten Anteil.

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3 Kommentare zu “Home Sweet Home. Vom Wohnen in Shanghai.

  1. Hallo Katharina,
    ich bin ehr zufällig auf deinem Blog gelandet. Tolle Beiträge. Ich war bis vor kurzem 2 Jahre lang (mit Kind und Frau) in Peking für eine deutsche Firma unterwegs.
    Was mich interessieren würde: Wie steht ihr zum Leben in einem China, das Ausländer ausspäht, die eigenen Bürger kurz hält, überwacht und bewertet, dass die westliche Welt und Lebenseinstellung im Grunde verachtet?
    Und wie empfindet ihr das “gepampert” (schöner Begriff :))werden?
    Uns ist es nach ca. 6 Monaten einfach nur noch unangenehm gewesen. Wir haben uns viel mit dem “echten China” beschäftigt und dann wir daneben. Tolles Haus: für Lau; Nanny, Haushaltshilfe und Chauffeur: natürlich; Elitäre Bildung für die Kinder: kein Problem; Ärztliche Versorgung: alles Top. Die Erfahrung und der Luxus hat natürlich was, keine Frage. Aber nachhaltig und besonnen ist es irgendwie auch nicht. Mein 7-jähriger Sohn hat jüngst mit uns diskutiert, warum wir nun wieder in einer normalen Wohnung leben, warum wir kein Personal mehr haben und und und. Im Nachhinein hat er in China keine normalen Verhältnisse kennen gelernt. Habt ihr da schon Erfahrungen gesammelt?
    Vllt sind die diese Themen auch mal einen Beitrag wert. Ich freue mich jedenfalls auf die nächsten Beiträge.
    LG aus Stuttgart

    1. Hallo Malte,

      ich freu mich, dass du über mich gestolpert bist und auch über deinen Kommentar. Danke!

      Ich bin in vielen Punkten ganz bei dir. Tatsächlich sind das alles Themen für eigene Artikel, aber hier meine Sicht in kurz: Die allgegenwärtige Videoüberwachung, wie auch das Ausspähen privater Kommunikation finde ich persönlich belastend. Ich weiß nicht, ob sich das mit der Zeit ändert, aber diesen Umstand nehme ich im täglichen Leben unterschwellig immer wahr (die Kameradichte ist ehrlich erschreckend und das aktuelle Thema Gesichtserkennung im Grunde dystopisch). Das ist etwas, mit dem man sich definitiv auseinandersetzen muss, wenn man beschließt, eine Zeit lang in diesem Land zu leben. Für uns überwiegte am Ende aber der Wunsch, die Chance, einige Jahre im Ausland zu leben, wahrzunehmen und auch das Interesse an diesem Land.

      Denn: Wir haben großes Interesse am „echten“ China. Auf all unseren Reisen durch die Welt haben wir immer versucht, Land und Leute abseits der Touri-Pfade kennenzulernen. Sag doch mal, was ihr gesehen, welche Teile des Landes ihr bereist habt und was du uns empfiehlst. Shanghai ist natürlich nicht exemplarisch für China, aber eben ein sehr interessanter Part, der beispielhaft für Vieles steht – und zeigt, wo die Reise wohl so hingeht…

      Die Sache mit dem Gepampert-Werden ist sicher etwas, das man – gerade mit Kindern, die einen Teil ihrer Kindheit und prägende Jahre hier verbringen – im Blick haben muss. Natürlich genießt man das gute Leben, alles andere wäre schlicht gelogen. Aber unsere Einstellung ist, dass es eine Frage der persönlichen Demut ist, wie man damit umgeht und welchen Umgang / welches Verhalten man den Kindern vorlebt. Ein Beispiel: Unsere Ayi räumt die Kinderzimmer nicht auf. Das ist Aufgabe der Kids – so wie zu Hause auch. Auch die Verbundenheit zur Heimat, zu Freunden und Familie zu Hause spielt dabei eine wichtige Rolle. Da spielen eben oft einfach andere Themen eine Rolle als hier – und darüber im Austausch zu sein, trägt zur Bodenhaftung bei…

      Wow, doch länger, als gewollt. Aber du hast zu gute Anmerkungen gemacht 🙂
      Viele Grüße!

  2. Hallo Katha,
    Wow, danke für die (ausführliche) Antwort und deine Sicht der Dinge. Finde ich gut, wie ihr mit dem “gepampert” werden umgeht.
    Meine Reisetipps (natürlich mit dem Startpunkt Peking):
    Wir haben zB eine 10-Tage-Reise mit dem Auto von Peking nach Qinhuangdao weiter nach Huludao an die Qinggon Bay weiter nach Yingkon bis nach Dalian gemacht. Die Distanzen sind so zwischen 2-4 Std mit dem Auto. In Kurz: Wir sind die Küste am gelben Meer langgefahren. Die Landschaft dort ist wirklich toll unterwegs kann man Pause in netten Fischerörtchen machen, es nicht allzu Touristisch und die Unterkünfte kann man spontan unterwegs buchen. Allerdings sind die Hotels etc. dort nicht mit denen in den Mega-Citys zu vergleichen… dort herrschen dann doch schon andere Standards und englisch sprechende Menschen werden auch deutlich weniger, aber mit Händen, Füßen und Apps klappt es gut. Das Meer dort ist schön anzuschauen (nach div. Google-Infos haben wir uns allerdings nicht zum baden reingetraut, weil es ziemlich verschmutzt sein soll). Aber Bootsrundfahrten waren toll dort, mit etwas Glück kann man sogar Wale beobachten. Wir waren dort Mitte September.
    Ein bisschen abenteuerlicher war die Reise nach Xilin Gal in die innere Mongolei. Eine Wahnsinns-Landschaft die für vieles entschädigt. Denn man muss wissen, dass das ein autonomes Gebiet ist. Wir wurden viel kontrolliert, all zu viele (westliche) Touristen scheinen dort nicht zu sein. Später habe wir mal erfahren, dass die Regierung auf Westler in Autonomie-Gebieten auch mal besonders aufpasst bzw genau registriert wer was wo und wann dort macht (gemerkt haben wir allerdings nichts). Die Menschen dort waren alle freundlich und hilfsbereit. Mit Pferden kann man dort tolle Ausflüge machen. Teilweise sieht es dort aber übel aus, es sind ganz andere Lebensstandards dort.
    Und diese Eindrücke haben halt unsere Sicht auf die Dinge die wir in China genießen durften, doch sehr geändert (Mein erster Kommentar), sodass wir uns teilweise doch sehr überzogen und wenig nachhaltig vor.

    Naja genug geschrieben 🙂
    Ich freue mich auf weitere Beiträge. VG

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