19. April 2024

Wir sind wieder in Shanghai. Und das war ein ganz schöner Ritt. Dass sich der Einreiseprozess zum Spießrutenlauf entwickeln würde, darauf waren wir im Vorfeld eingestellt. Wir bekamen viel über die üblichen Expat-Chatgruppen mit und hatten von Bekannten gehört, was die Chinesen am Shanghaier Flughafen an Kontrollen unternahmen. Und wer sollte es ihnen verübeln? Genau während meiner Zeit in Deutschland kehrte sich die Situation nämlich komplett um. Plötzlich nahmen die Neuinfektionen in China und sogar die im „Epizentrum“ Hubei ab, in Deutschland und Europa hingegen stiegen sie rapide an. Noch vor drei Wochen hat in Deutschland gefühlt nur wenige das Virus beunruhigt. Tatsächlich waren wir als „die aus China“ ein potentieller Gefahrenherd und wurden (zumindest gefühlt) von dem einen oder anderen kritisch beäugt. (Spoiler: Wir haben COVID-19 nicht in Niedersachsen eingeschleppt!) Genau so wurden wir als Deutsche jetzt übrigens bei der Ankunft hier behandelt, als „potentiell gefährlich“, als Menschen, die das Virus wieder nach China zurückbrachten. Alles in allem scheinbar kein besonders guter Zeitpunkt, um alleine mit zwei Kindern einen solchen Trip auf sich zu nehmen. Aus heutiger Perspektive vielleicht aber sogar der richtige, denn wir sind inzwischen zu Hause, als Familie zusammen und in einer Umgebung, die noch lange nicht zur Normalität zurückgekehrt ist, in der sich Restriktionen aber langsam lockern und ein scheinbar normalerer Alltag langsam zurückkehrt.

Bereits bei der Ticketausgabe und beim Boarding wurde in Frankfurt die Temperatur aller Passagiere gemessen. Während des Fluges wurde das zwei weitere Male gemacht. Es gab bis auf die Ausgabe einer Box mit kalten, ungenießbaren Snacks und zwei Flaschen Wasser keinen Board-Service, um den Kontakt zwischen Passagieren und Crew weitestgehend zu minimieren. Darauf war ich glücklicherweise vorbereitet; mein Handgepäck beinhaltete ausschließlich Essen und Getränke. Nach dem elfstündigen Flug, auf dem die Kids immerhin ein paar Stunden geschlafen hatten, begann dann das große Warten. Bevor wir das Flugzeug verlassen durften, wurden die offiziellen Temperaturmessungen durch die chinesische Gesundheitsbehörde vorgenommen. Viele Flieger landen dieser Tage zwar nicht mehr, wir mussten dennoch eine gute Stunde warten, bis dieser erste Schritt unseres Einreiseprozesses begann. Die Kinder nahmen die Kontrolle gelassen hin, aber ich war ebenso angespannt wie die anderen Passagiere. Es war totenstill im Flugzeug und es herrschte eine beklemmende Stimmung. Auf dem Rollfeld standen -das konnte ich vorher schon sehen und ich sage euch, das wirkte wie im Katastrophenfilm- etwa 25 Krankenwagen mit Blaulicht bereit. Personen mit Temperatur wurden und werden nämlich direkt in die zentralen Isolierstationen ausgewählter Krankenhäuser gebracht. Nun ist die auf gezeigte Symptome hin erfolgende Behandlung im Krankenhaus natürlich völlig normal und richtig. Es ist aber so, dass Kinder in China strikt getrennt von Erwachsenen auf gesonderten Isolierstationen untergebracht werden, zu denen auch die Eltern keinen Zutritt bekommen. Bei allem Verständnis für die (Krankenhaus-)Logistik ist das sicher nicht nur für europäische Eltern ein Alptraum. Das war der eine, der große Stresstest, der Alex und mich im Vorfeld sehr besorgt hat. Hätten die Kinder eine Temperatur über 37,3 Grad gehabt (und Eltern wissen, dass das bei Kindern insbesondere nach einer schlechten Nacht und nach solch einer anstrengenden Reise durchaus mal möglich ist), wären sie isoliert worden.

Uns traf es mit Temperaturen im Toleranzbereich nicht, allerdings einige Mitreisende: Zwei Reihen schräg vor mir saß eine chinesische Familie, deren Temperaturen zunächst ein zweites und später sogar ein drittes Mal gemessen wurde. Nach einer weiteren Dreiviertelstunde wurde die Frau aus dem Flugzeug begleitet. Irgendwann, über zwei Stunden nach der Landung, durften wir das Flugzeug in Gruppen von jeweils vielleicht zehn Sitzreihen verlassen und wurden mit dem Bus zum Terminal gebracht. Dort begannen dann die weiteren Kontrollen: Zunächst mussten wir -ganz chinesisch- einen QR-Code scannen, um Formular Nummer 1 auszufüllen. Wer sind wir, woher kommen wir, was haben wir da gemacht – so in etwa der Fokus dieses und aller weiteren Formulare, die noch kommen sollten. Dann hieß es Schlange stehen mit der erhaltenen Online-Bestätigung für Formular 1 und den zwei weiteren schon im Flugzeug ausgefüllten Formularen.

Im Terminalgebäude waren etwa dreißig Schreibtische aufgebaut, an die man einzeln gebeten wurde, um zu den Inhalten der Formulare Stellung zu nehmen. Im Grunde fragten die nochmal ab, was ich bereits angegeben hatte. Allerdings musste ich auch erläutern, in welchem Bundesland wir gewesen waren und ob wir Kontakt mit Menschen aus Nordrhein-Westfalen gehabt hatten. So explizit waren die Nachfrage nach meinem Aufenthaltsort in Deutschland tatsächlich. Keine Ahnung, ob chinesische Beamte vorher einen Crashkurs in deutschem Föderalismus hatten, auf jeden Fall waren sie extrem informiert über die Situation einzelner Länder und Provinzen. Am Ende dieses „Interviews“ kam dann der Sticker auf den Pass.

Der grüne Sticker war so grün wie die Hoffnung, ihn zu bekommen. Eine Freundin, die zwei Tage vor uns geflogen war, hatte ihn noch bekommen und durfte den Flughafen somit selbstständig und ohne weitere Maßnahmen verlassen. Leider war Deutschland inzwischen, genauer gesagt in der Nacht, in der wir im Flieger saßen, als Risikoland eingestuft worden. Somit konnten wir bestenfalls den gelben Sticker erhalten, der die vierzehntägige Heimquarantäne verordnet. Rot hätte den sofortigen Transport ins Krankenhaus bedeutet. Da wir weder aus NRW noch aus der Lombardei einreisten und keine Symptome zeigten, klebte eine Viertelstunde später also der gelbe Sticker auf unseren Pässen und wir durften weiter. Fieberkontrolle, Formular Nummer 4, Passkontrolle. Danach: Gepäck. Endlich. Alle Koffer waren da, ich hatte es irgendwie geschafft, die 79 Kilo auf den Trolley zu laden und wir liefen durch die Zollschleuse, hinter der Alex auf uns wartete. Am Ziel waren wir aber nicht. Wir konnten ihm zuwinken, mussten dann aber in die nächste Schlange. Von da an hieß es im Minutentakt: Passkontrolle. Welcher Sticker? Wohin einreihen? Irgendwann wurde klar: Jetzt geht es um den Heimtransport. Letzte Woche war es nämlich noch erlaubt, die Heimfahrt privat zu organisieren, der Abholer musste dann aber mit in die zweiwöchige Heimquarantäne. Alex hatte sein Homeoffice bereits angemeldet. Da viele Expatfamilien meist ohne Vater in den letzten Wochen ausgereist waren und nun so langsam zurückkommen, betrifft das gerade einige seiner Kollegen. Sobald man Kontakt zu Rückreisenden hat, muss man mit in Quarantäne. Wie sich später zeigen sollte, war es ein großes Glück, dass er uns abgeholt hatte…

Eine weitere halbe Stunde später, es war so etwa halb fünf, gelandet waren wir um eins, reihten wir uns am Schalter für unseren Heimatdistrikt ein. Nach Qingpu mussten scheinbar nicht allzu viele Leute, deshalb ging es relativ fix. – Die Wartezeit, nicht das, was dann kam. Zwei weitere Formulare. Infos zur Wohnsituation und darüber, wer uns abholte, womit er uns abholte, Kennzeichen, Parkhaus-Stellplatznummern, Kontaktdaten der abholenden Person. Als dann all das erledigt war, wurden wir begleitet – zu eben jenem Stellplatz, auf dem Alex geparkt hatte. Dann: Noch mehr Formulare, Probeanrufe bei den von uns angegebenen Telefonnummern und Fotos. Fotos vom Auto, vom Nummernschild, von uns vorm Auto. Mir war alles egal, wir waren draußen, wir waren zu viert, wir freuten uns auf zu Hause. Das Zuhause, das die nächsten vierzehn Tage unser Quarantäne-Spot sein sollte. Davon gingen wir damals jedenfalls aus.  Am Compound-Eingang vergingen nochmal dreißig Minuten mit dem Ausfüllen weiterer Formulare. Das Nachbarschaftskomitee stand schon bereit und begleitete uns bis ins Haus. Immerhin wurde unsere Tür nicht versiegelt und keine Kameras im Vorgarten aufgebaut. Das wird in anderen Compounds nämlich wirklich so gehandhabt. Ich frag mich immer, ob die Handydaten nicht ausreichen, die ja eh allesamt ausgelesen werden und komplette Bewegungsprofile ergeben.

Dann waren wir also endlich da. Zurück zu Hause. 24 Stunden nach unserem Aufbruch in Hannover. Wir waren müde. Geschafft. Gelöst. Und ich immerhin frisch geduscht, als es zwei Stunden später, gegen 22 Uhr, klingelte.

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