Im Raum stand für uns lange aber vage das Thema Auslandseinsatz in Györ. Was die Audi-Standorte halt so hergeben. Wie das aber im Vorfeld von Entsendungen auch oft ist, änderten sich die Pläne. Ungarn platzte und eines Abends kam Alex nach Hause und stellte diese Frage. Was hältst du von China? Hmm. Ich dachte an Changchun, das näher an Russland liegt als an Peking, an Winter mit minus zwanzig Grad und Sommer mit Sandstürmen und sagte: Weiß nicht. Nee. Bis klar war: Es ging nicht um Changchun. Es ging um Shanghai. Das änderte alles. Wir kannten Shanghai, weil Alex vor über zehn Jahren schon für ein Praktikum einige Monate dort gewesen war und ich ihn damals besucht hatte. Die Stadt war schon damals krass. Riesig. Wild. Verrückt. Abenteuerlich. Anders als alles, was wir kannten. (Viel mehr noch als sie das heute ist.) Wir waren aufgeregt. Es kribbelte im Bauch, im Kopf und in der Vorstellung – und wir hatten direkt das Gefühl, das könnte gut werden.
Bei mir ist das so: Der Bauch ist immer schnell mit den Entscheidungen, der Kopf braucht eine Weile, um hinterher zu kommen. Zwischen all der Aufregung und dem positiven Grundgefühl kamen ziemlich viele Fragen auf. Große, wichtige Fragen, die man für sich selbst und ganz grundsätzlich beantworten muss:
Kann ich mir vorstellen, im Ausland zu leben? Irgendwo, wo es ganz anders ist als zu Hause und wo ich zeitweise mein ganz normales Leben führen muss? Kann ich es aushalten, weit weg von Familie und Freunden zu sein? Habe ich ganz grundsätzlich Lust, irgendwo ganz neu anzufangen? Habe ich Bock auf neue Leute, eine neue Umgebung, neue Routinen, darauf, fremd zu sein? Möchte ich die Kinder aus ihrem gewohnten Alltag und Umfeld nehmen; traue ich ihnen solch einen Wechsel zu?
Dann all die organisatorischen Fragen, die wichtig sind, um sich entscheiden zu können: Zu welchen Bedingungen gehen wir? (Das betrifft natürlich zunächst mal den Entsendeten, seine Vertragsbedingungen und Rückkehroptionen.) Wie werden wir dort leben? Was für Schulen und Kindergärten gibt es? Wie ist die ärztliche Versorgung? Wie muss ich mir das Einkaufen vorstellen und was mache ich mit Kindern, die bei asiatischem Essen erst die Nase rümpfen und sich dann weigern, auch nur einen Bissen zu probieren? Gibt’s für die auch Brot und Nutella?
Und für China: Wie schlimm ist die Luftverschmutzung? Muss ich mir Sorgen beinm Einkauf machen, nach all den Lebensmittelskandalen, von denen ich glesen habe? Und wie ist das Leben in diesem politischen System? (Dass sich die staatliche Überwachung etwa auf uns Ausländer nicht im gleichen Maße auswirkt wie auf chinesische Staatsbürger ist klar. Aber ich bin dennoch der Meinung, man sollte sich mit diesen Themen auseinandersetzen und zu einer bewussten Haltung finden. Auch, wenn man mit der hier nicht hausieren geht und ich mir nicht anmaße, genügend Einblick zu haben, das in all seinen Ausprägungen korrekt darzustellen. Aber auch als Ausländer wird man hier eben mindestens überall gefilmt.)
Wir hatten für die Klärung all dieser Fragen nur etwa zwei Wochen Zeit, bis Alex‘ Chef Rückmeldung wollte. Und die meisten klärten sich tatsächlich auch erst während unseres Pre Assignment Trips. All das Organisatorische, das Konkrete, die Details wurden erst in diesen Tagen klarer. Sich ein Bild zu machen, eine Vorstellung von einem Leben hier zu entwickeln, das geht eben am besten, wenn man sieht, was einen erwartet.
Deshalb geht es am Anfang, ab dem Zeitpunkt, wo das Angebot auf dem Tisch liegt, auch nur um diese eine Frage: Wollen wir, oder wollen wir nicht? Sind wir mutig, abenteuerlustig, flexibel und neugierig? Kribbelt es bei der Vorstellung, die kommenden Jahre in einem anderen Teil dieser Welt zu leben? Und wenn der Bauch da ja schreit (oder auch nur flüstert), dann ist die Antwort: Macht es! Denn ehrlich, die meisten Fragen, die ich mir stellte, sind rückblickend betrachtet keine fünf Minuten Nachdenken wert. Es findet sich alles, das Leben rüttelt sich zurecht. Die entsendenden Unternehmen unterstützen ihre Mitarbeiter. Noch von niemandem hier habe ich gehört, dass er mit Problemen alleine gelassen wurde. Die Expat-Community ist groß und sie ist hilfreich. Niemand wird hier mit Fragen alleine gelassen. Und wenn man ganz grundsätzlich hinter der Entscheidung für das Abenteuer Ausland steht, dann kriegt man all die kleinen oder größeren Hürden sicher aus dem Weg geräumt.
Hallo Katha,
das sind ja tolle Einblicke hier, vielen Dank.
Mein Mann und ich stehen auch vor der Entscheidung ggf. nächstes Jahr nach China zu gehen (nach Shengzhou). Daher eine Frage: Wie kommen deine Kinder mit der Sprache klar?
Wir haben im Bekanntenkreis zwei “Fälle” bei denen die Kids (zwischen 1,5 und 2 Jahren) quasi verstummt sind, weil die Eltern sie auch relativ zügig in die Kita geschickt haben, war das wohl ein bisschen viel auf einmal.
Hinterher, wieder in Deutschland, mussten die Eltern zu Psychologen etc. um diese Traumata und Ängste (lt. den Psycholgen) wieder zu “lösen”. Jetzt sind die Kinder 5 und 6 haben das Sprachniveau von Kleinkindern und somit arge Probleme in der Schule etc.
Da auch wir eine kleine Tochter haben, ist dieser Punkt noch meine größte “Angst”. Das könnte ich mir nicht verzeihen.
Wie habt ihr das gemacht? Habt ihr auch schon mal von solchen Fällen gehört? Oder mache ich mich unnötig verrückt, weil es bei uns im Freundeskreis gleich zwei Fälle gibt?
Vielen lieben Dank.
Melanie aus Bonn
Liebe Melanie,
vielen Dank für deinen Kommentar! Genau solche Fragen sind sehr willkommen. Wie gesagt, den meisten, die vor der Entscheidung stehen, ins Ausland zu gehen, schwirren die vielfältigsten Fragen im Kopf. Super, wenn ich da mit meiner Sicht aushelfen kann!
Wir haben hier den Vorteil (aus meiner Sicht ein absoluter Vorteil), dass wir in Shanghai eine Deutsche Schule haben. Meine Kinder sind in dem daran angegliederten deutschen Kindergarten, mit deutschen Erziehern und Standards. In jeder Gruppe ist immer auch eine chinesische Erzieherin und da viele gemischtsprachig aufwachsende Kinder an der Schule sind, kriegen sie doch einiges an chinesisch mit. Es gibt auch entsprechende Sprachnachmittage in englisch und chinesisch. Trotzdem sprechen meine beiden Kids (5 und 2 Jahre) bis auf ein paar Brocken ausschließlich deutsch. Bevor wir die KiGa-Plätze an der DSS bekommen haben, waren meine beiden ein paar Monate an einem Montessori-Kindergarten, wo ausschließlich englisch und chinesisch gesprochen wurde. Mein Sohn mit seinen damals eindreiviertel Jahren hatte damit keine Probleme; er hat noch nicht viel gesprochen zu der Zeit. Vielleicht hat es sich dadurch generell ein wenig verzögert, aber er ist beim Sprechen eh nicht von der fixen Sorte… Für meine Tochter (damals knapp fünf) war es schwieriger, weil sie sehr mitteilungsbedürftig ist und durch die Sprachbarriere Hemmungen hatte, sich einzubringen. Sie hat von sich aus auch immer gesagt, dass sie sich auf den deutschen Kindergarten freut.
Aber wir alle wissen, dass Kinder Sprachen theoretisch sehr schnell erlernen. Und wir haben viele Beispiele hier im Bekanntenkreis, deren Kinder seit Jahren an diesem oder einem anderen englisch/chinesisch-sprachigen KiGa sind und beide Sprachen fließend sprechen. Deren deutsch hat darunter kein bisschen gelitten. Es ist wohl auch eine Frage des Alters, mit dem die Kinder in ein fremdsprachiges Umfeld kommen.
Solch krasse Beispiele wie die, von denen du berichtest, sind mir nicht bekannt. (Und die Community hier ist groß!) Aber am Ende ist es natürlich höchst individuell, wie Kinder auf all das Neue, das sie verarbeiten müssen, reagieren. Ich kann dir nur Mut machen, denn ich erlebe hier in erster Linie Kinder, die nach der ersten Ankommensphase sehr offen sind und einen ganz natürlichen Umgang in diesem internationalen Umfeld entwickeln. Und die eben auch merken, wie vielseitig Kommunikation funktioniert, selbst wenn die Sprache fremd ist. Das Wichtigste ist, dass sie gut begleitet werden.
Ich hoffe, das hat dir ein wenig geholfen.
Viele Grüße von
Katha